Kurzversion
Corps croisé beschäftigt sich mit verschiedenen Graden der Aufspaltung des musikalischen Materials, das übereinander gelegt oder auseinander hervor entwickelt wird. Hier entsteht die musikalische Arbeit: Indem Übergänge hergestellt (oder vermieden) werden, indem verschiedene Grade zur selben Zeit anwesend, abwesend, im Entstehen oder Sich-Auflösen sind, setzt sich der Korpus in Fluss und findet im Vorgang des Dissoziierens (und einem damit verbundenen Vor- und Zurückgreifen) sein Thema. Freilich ist das musikalische Material kaum vordefiniert: Es ergibt sich vielmehr aus dem jeweiligen Grad der Auflösung selbst, erscheint also weniger als ein Objekt denn als ein Attribut.
Charlotte Seither
Langversion
Corps croisé entstand im Kontext eines Zyklus der späten Streichquartette von Ludwig van Beethoven, dessen B-Dur-Quartett op. 130 mit Großer Fuge mit einem Uraufführungswerk kombiniert werden sollte. Die Last, der maßlose Überschatten dieses Werkes und seiner Rezeptionsgeschichte waren schließlich so erdrückend, dass ich mich entschied, mich ganz von der Beethoven-Vorlage zu lösen und mich stattdessen mit der allgemeinen Syntax zu beschäftigen, die Beethovens späte Stücke ausmacht. Es waren verschiedene Grade der Aufspaltung des musikalischen Materials, die ich nun in verschiedenen Formen übereinander schichtete und horizontal zueinander in Beziehung setzte. Hier entstand die musikalische Arbeit: Indem Übergänge von einem Grad zum andern (innerhalb einer Stimme) hergestellt (oder vermieden) wurden, indem verschiedene Grade (innerhalb mehrerer Stimmen) zur selben Zeit anwesend, abwesend, im Entstehen oder Sich-Auflösen waren, setzte sich der Korpus in Fluss und fand im Vorgang des Dissoziierens selbst (und einer damit verbundenen, vor- und zurückgreifenden Gerichtetheit) sein Thema. Freilich ist das musikalische Material in diesem Stück kaum ein thematisches (im engeren Sinn): Es ergibt sich vielmehr aus dem jeweiligen Grad der Auflösung selbst, erscheint also weniger als ein Objekt denn als ein Attribut. Der Titel bedeutet soviel wie „in sich verschlungener / verkreuzter Körper“ und bezieht sich auf die unterschiedlichen Kommunikationsebenen der vier Stimmen, die gleichwohl stets einen Korpus bilden.
Charlotte Seither